- Franz Kuehmayer -
Das Ende der Anwesenheitspflicht
Updated: Apr 7, 2020
Was seit Jahren im Gespräch ist, ist durch die Corona-Ausgangsbeschränkungen schlagartig relevant geworden: Wie kann disloziertes Arbeiten gelingen? Wie funktioniert Home Office? Wie gut sind all die mobilen Werkzeuge der modernen Wissensarbeit tatsächlich?
Wir wissen aus unzähligen, erfolgreich abgeschlossenen Beratungsprojekten sehr genau Bescheid über die drei Zutaten zum Erfolg.
Es braucht erstens die passenden Werkzeuge und Infrastrukturen. Auf der untersten Ebene der Bedürfnispyramide des mobilen Arbeitens stehen die Basics: Notebook oder Tablet, Mobiltelefon; Software, die den sicheren und stabilen Zugriff auf Unternehmensdaten möglich macht; Zugriff auf Online-Services für Videokonferenzen und Team-Zusammenarbeit; entsprechend leistungsstarke Datenleitungen; aber auch so einfache Dinge wie Kopfhörer, damit neben den zu Hause herumtollenden Kindern an vernünftiges Arbeiten zu denken ist.
Zweitens, Kenntnis über die Nutzung dieser Infrastruktur. Das ist auf der einen Seite eine Kompetenzfrage. Die zahllosen Quick-Ratgeber, die in diesen Tagen durch alle sozialen Medien schwirren, zeigen es: Wie halte ich ein Online Meeting ab? Welche Spielregeln erweisen sich bei ConfCalls als zielführend? Wie share ich nun wirklich ein Dokument? Hinzu kommen rechtliche und organisatorische Kenntnisse: Sind unsere Unternehmensprozesse weitgehend papierlos strukturiert und unabhängig von der physischen Anwesenheit der Beteiligten? Aber auch: Wie wird Arbeitszeit gemessen und abgerechnet, wie bekommt man Kinder, Partner und Arbeit auf kleinstem Raum im Home Office unter einen Hut.
Und schließlich, als dritter aber tatsächlich wichtigster Faktor: Die passende Einstellung von Führungskräften. Jetzt zeigt sich nicht nur, wie vertraut die leitenden Mitarbeiter in Unternehmen mit Themen wie Remote Management sind, sondern vor allem deren normative Qualitäten: Vertrauen, Ergebnisorientierung, Toleranz. Und wir erleben sehr deutlich, dass Führung tatsächlich eine Dienstleistung ist – an den Menschen, die für das Unternehmen arbeiten und die besonders in herausfordernden Zeiten vor allem Unterstützung brauchen.
Corona erweist sich als Prüfstand für NewWork. Und zeigt, wie steil teilweise die Lernkurve von Unternehmen ist.
Was in „Friedenszeiten“ erprobt hätte werden können, aber auch wogegen sich so manche Führungskraft mit Ingrimm gewehrt hat, das muss nun blitzartig funktionieren. Tut es ja in vielen Unternehmen auch erstaunlich gut — ein Zeugnis für die Agilität von Mitarbeitern und der IT- & Telekom-Branche, die jetzt auf Hochtouren läuft.
Dennoch: Mit einem etwas aufgeschlosseneren Zugang in den letzten Jahren hätten einige der aktuellen Stolpersteine gemütlich aus dem Weg geräumt werden können und an die Stelle der notgedrungenen Improvisation wäre gelassene Selbstverständlichkeit gerückt. Wer den Dreisprung aus Infrastruktur, Kompetenz und Kultur schon durchgemacht hatte, zählt nun zu den absoluten Produktivitätsgewinnern. Und hat damit in einer ohnehin höchst herausfordernden Situation mehr Zeit und Energie, sich anderen Fragen zu widmen, als jener, wie denn jetzt dieses vermaledeite Webcam-PlugIn wirklich funktioniert.
Die Hoffnung lautet: Es setzt sich als Erkenntnismuster durch, dass so manches im Bereich neuer Arbeitsmodelle auch künftig probiert und zugelassen werden sollte.
Corona ist nicht nur ein schlagartiger New-Work-Fitnesscheck. Das grelle Licht der erzwungenen Mobilität wirft auch harte Schlagschatten auf die allzuschöne, neue Arbeitswelt.
Es entlarvt damit auch all jene Hurra-Prediger von New Work, die schon hofften, endlich fröhliche Urständ‘ feiern zu können. Wir merken: Alleine vor sich im Home Office dahinarbeitend fällt es schwerer einzuschätzen, wann man genug getan hat für einen Tag. Ohne physische Nähe zu Kollegen fällt Arbeiten auf Zuruf schwer, aber auch gegenseitiges mal-rasch-um-Rat-fragen und unterstützen. Es fällt auf, wie entscheidend es ist, sich den Arbeitsplan zu strukturieren, Pausen bewußt zu setzen, aber auch Routinen beizubehalten – zum Beispiel sich auch ohne eigentliche Notwendigkeit „businesstauglich“ zu kleiden, selbst wenn man „nur“ zu Hause am Laptop arbeitet. Ganz nebenbei lernen wir viel über uns selbst, und wie wir unsere Eigenkompetenzen steigern.
Nach dem Home Office ist vor dem Office.
Und noch etwas passiert, ganz subtil: Die Spontantransformation befeuert nicht nur unsere Fähigkeit, aus dem Home Office zu arbeiten — sie macht auch sehr deutlich bewußt, was wir am Büro vermissen, und was auch nicht.
Rückzugsorte, an denen man in Ruhe und ungestört telefonieren oder konzentriert arbeiten kann? Ja bitte!
Kommunikationszonen, in denen man das, was sich in endlosen Videokonferenzen eben doch nicht so toll klappt, ganz persönlich miteinander besprechen kann? Oh ja!
Die Kaffeeküche, Tratschecke und Kantine für den informellen Flurfunk? Unbedingt!
Aber das Eckbüro als Statussymbol? Also bitte, das ist doch nun endgültig lächerlich geworden.
Schon vor Corona war die Sorge, dass durch Home Office das Büro seinen Wert verliert, völlig unbegründet. Durch das Extrem-Home-Officing dieser Tage wird sich daran nichts ändern. Neu ist gesamtheitliche Sensibilität dafür, was moderne Büros leisten können müssen und wofür wir jeden Tag tatsächlich dorthin fahren. Das Büro ist eben nicht nur ein Ort, an den man zum Arbeiten fährt, weil es keine anderen Orte dafür gäbe, sondern ein Sozialsystem.
Wir werden nie mehr zurück zur Routine der Anwesenheitspflicht gehen. Wir werden gelernt haben, neu zu arbeiten. New Work eben.